Kirchner, Ernst Ludwig, Maler und Graphiker (1880-1938).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „E L Kirchner“. Frauenkirch, 23. VI. 1919, Fol. 2 Seiten, auf 2 Blättern.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Schöner Brief an Anna Boner in Davos, über die Komposition von Farben und Flächen und die Inspiration zum Gemälde „Tinzenhorn“: „[…] Ich würde schon entschuldigen, dass ich schon wieder an Sie schreibe, aber erstens muss ich mich recht herzlich bedanken für die Jacken und die Kirschen. Ganz besonders freuen mich die alten Teppiche. Ich habe 2 schon im Atelier. Sie werden mich vielleicht auslachen, aber diese alten Muster mit ihren verschossenen Farben regen meine Phantasie ganz kolossal zu fein abgestimmten Farb-Harmonien an. Wenn ich hier sitze und auf die Teppiche sehe, so verwandelt sich das Blumenmuster in Berge und Menschen und Tiere, in Bilder in reinen Farbflächen, wie ich sie gerne malen möchte und doch nicht kann. Nun müssen Sie aber bald kommen und sehen, welche Veränderung diese Dinger erzeut haben. Das Zimmer meiner Frau sieht jetzt sehr nett aus […]“. – Anna Boners „Teppiche“ boten die farbkompositorische Vorlage für Kirchners Gemälde „Tinzenhorn. Zügenschlucht bei Monstein“ (heute in Privatbesitz). Im „Davoser Tagebuch“ heißt es am 1. August 1919: „Ich träume ein Tinzenbild im Abendrot, nur der Berg blau gegen blau, ganz einfach […] Und Kühe am Abend herunterkommend. Gelbgrün, rot, violett wie der Vorleger von Fräulein Boner“. – Anna Boner zählte zum engeren Kreis um Kirchner in seinen Davoser Jahren. Sie war die Tante der Bildhauerin, Fotografin, Indologin, Kunsthistorikerin und Sammlerin Alice Boner (1889-1981). Anna Boner selbst bewohnte das Boner-Chalet in Davos, wo sie mit Kirchner einen regen Austausch pflegte. Kirchners Aquarell eines Hirten mit drei Ziegen ist „Fräulein Boner“ gewidmet (heute im Kirchner Museum, Davos). Darüber hinaus besaß sie verschiedene Arbeiten von Kirchner, darunter der Holzschnitt „Zwei arbeitende Frauen auf Balkon“ (1919). – Kirchner lernte seine Lebensgefährtin Erna Schilling (1884-1945) im Jahr 1912 kennen. – Anna Boner war die Freundin von Helene Spengler(-Holsboer), der Ehefrau des Schweizer Lungenarztes Lucius Spengler (1858-1923), der Kirchner ärztlich betreute und ihm 1921 bei der Medikamentenentwöhnung half. Das Ehepaar Spengler betreute Kirchner seit 1917 und war eine große, auch gesellschaftliche Stütze für ihn. In KirchnersTagebüchern finden sich einige Hinweise auf Anna Boner, die auf ihren Bergwanderungen oftmals bei Kirchner einkehrte, ebenso auf die Familie Spengler. – Vgl. Lothar Grisebach, E. L. Kirchners Tagebuch. Eine Darstellung des Malers und eine Sammlung seiner Schriften. Köln 1968, u.a. S. 55 und Anm. 63.