Rilke, Rainer Maria, Schriftsteller (1875-1926).

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Eigenhändiges Gedichtmanuskript (20 Zeilen) ohne Unterschrift Ohne Ort und Jahr [München, 9. XI. 1915, 8°. 1 Seite.

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Beschreibung

Eines der außergewöhnlichsten und bewegendsten Gedichte Rilkes: „Der Tod. || Da steht der Tod, ein bläulicher Absud | in einer Tasse ohne Untersatz […] O Sternenfall, von einer Brücke einmal eingesehn – : | Dich nicht vergessen. Stehn!“ – Die sehr schöne Niederschrift war vermutlich für den Münchener Schauspieler Albert Steinrück gedacht, den Rilke in der Rolle des „Woyzeck“ bewundert hatte. Am 9. November 1915 schrieb Rilke an Eva Cassirer: „‚Ich kann Ihnen die Abschrift eines merkwürdigen Gedichtes beilegen, das mir heute, völlig unvermuthet, gelungen ist … (Übrigens schenk ichs, einem plötzlichen Impuls nachgebend, dem Schauspieler Steinrück.).“ Ursprünglich hatte Rilke das Gedicht in das „blaue Buch“ der Fürstin Marie von Thurn und Taxis (1855-1934) eingeschrieben, gedruckt erschien es im „Insel- Almanach auf das Jahr 1919“. – Mit eindrucksvoller Metaphorik thematisiert Rilke den Freitod, der „bläuliche Absud“ deutet auf eine Vergiftung mit Zyankali hin. Das Gedicht wurde unter dem Eindruck der zahlreichen Todesnachrichten aus dem ersten Jahr des Ersten Weltkrieges niedergeschrieben (kurze Zeit darauf wurde Rilke selbst gemustert und für tauglich befunden), darüber hinaus zeigt es deutliche Parallelen zum Werk Leo Tolstois. Am Tag vor der Niederschrift heißt es am 8. November in der Rilke-Chronik: „Langer Brief über den ‚Malte‘ an Lotte Hepner. Rilke rät ihr, Tolstois Erzählung ‚Der Tod des Iwan Iljitsch‘ zu lesen […] Über den Tod heißt es im Zusammenhang mit Tolstoi: ‚deshalb konnte dieser Mensch so tief, so fassungslos erschrecken, wenn er gewahrte, daß es irgendwo den puren Tod gab, die Flasche voll Tod oder diese häßliche Tasse mit dem abgebrochenen Henkel und der sinnlosen Aufschrift ‚Glaube, Liebe, Hoffnung‘, aus der einer Bitternis des unverdünnten Todes zu trinken gezwungen war …“ (S. 513). Aber das Gedicht besticht nicht nur wegen der beklemmenden Todesthematik, es zeigt auch seine stilistische Abkehr vom Frühwerk: „Rilkes Abkehr von der impressionistischen Klang- und Stimmungskunst ist offenkundig vollzogen. Die Hinwendung zu einer Art Symbolismus führt zu expressiver Bildlichkeit und gewagter Stilistik […] Fast dadaistisch wirkt der freilich ernstgemeinte weithergeholte, aller Konvention widerstreitende Reim ‚Gelall | O Sternenfall‘. Devianz und Verfremdung […] deuten sich an. Das Gedicht ist ‚einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg ins Spätwerk‘ “ – Zuletzt 1968 versteigert bei Stargardt Auktion 585, Nr. 239. – Vgl. Schnack, Rilke-Chronik, 2009, S. 513; [Beda Allemann, 1961, S. 79 …; ausführlicher Kommentar in Hans Hiebel, Das Spektrum der modernen Poesie, Bd. I, 2005, S. 208-12).