Brecht, Bertolt, Schriftsteller (1898-1956).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „b“. [Berlin, 26. oder 27. X. 1948], Kl.-4°. 3 Seiten. Doppelblatt.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Sehr wahrscheinlich der erste Brief, den Brecht in Berlin, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil schrieb, an Casper Neher, über dessen Mitarbeit an „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Helene Weigel in der Hauptrolle (Premiere am 11. Januar 1949 am Deutschen Theater in Berlin): „Lieber Cas, so haben wir uns also doch versäumt! Ich wartete 1 Jahr auf meine Papiere, dann musste ich, die Zeit auszunutzen, weg innerhalb von Tagen. Sprach aber noch mit Hirschfeld. Anscheinend würden dir [sic!] die Zürcher, um mir in Berlin zu helfen, im November nach Berlin lassen. da du im Dez. sowieso besetzt bist – in Wien und vielleicht in Italien – was Zürich nicht weiß, bin ich nicht sicher, ob ihnen 3 Wochen im November viel helfen! besser du trittst dort im Januar an und bleibst dann dort mehrere Monate, ich will auch [unterstrichen] im Januar zurück sein in Zürich. (definitiv, schon meines Passes wegen!) ich werde also jetzt alles tun wegen deiner Visen (habe schon alles vorbereitet, wusste nur nicht ob du Pass hast). wir würden dann Courage vorbereiten und anfangen und du könntest weg, wenn nötig. Verpflegung, Unterkunft wird vom Deutschen Theater besorgt, das wird gut sein und verhältnismässig konfortabel, wir müssen [unterstrichen] die Courage zusammen [unterstrichen] machen; dann soll es eine Tournee durch Westdeutschland werden – was sich lohnen könnte. Für die 3 groschenoper müssen sie dich auch zahlen für die ganze Tournee [unterstrichen]! herzlich dein alter b“. – Außerordentlich wichtiger und inhaltsreicher Brief, der den Neuanfang Bertolt Brechts in Deutschland nach dem Krieg markiert und seine Visionen und Pläne für den Aufbau eines „neuen Theaters für eine neue Gesellschaft“ (Parker) veranschaulicht. – Die „Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe“ (BFA, Bd. 29, S. 475) datiert den Brief auf allgemein „Oktober 1948“, er kann aber nur in Berlin am 26. oder 27. Oktober geschrieben worden sein, da Brecht direkt Bezug auf die an beiden Tagen mit Langhoff u.a. besprochenen Courage-Pläne Bezug nimmt. Frühere Nachkriegsbriefe von Brecht aus Berlin sind nicht bekannt. Brecht war im November 1947 über Paris nach Zürich gekommen und traf dort erstmals wieder mit Caspar Neher zusammen. Während er in Feldmeilen auf die Erlaubnis zur Weiterreise nach Deutschland wartete, knüpfte er Kontakte zu Verlegern und Intendanten, um die Bedingungen und Möglichkeiten für den Aufbau eines neuen Theaters zu sondieren. Caspar Neher sollte eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung künftiger Bühnenbilder spielen. Ende August 1948 wurde schließlich Brechts Schweizer Identitätsausweis bis Ende Februar 1949 verlängert, was ihm die Reise nach Deutschland ermöglichte. Am 22. Oktober 1948 erreichten Brecht und Helene Weigel über Prag kommend zuerst Dresden, dann Berlin, wo sie im Wirtschaftsgebäude des zerstörten Hotels Adlon untergebracht waren. Am 26. Oktober hatte Brecht dann die entscheidende Besprechung mit Wolfgang Langhoff im Deutschen Theater, tags darauf traf er sich mit Slatan Dudow. „Danach beginnt er mit den Vorbereitungen zur Inszenierung von Mutter Courage und ihre Kinder am Deutschen Theater“ (Hecht), was sich im vorliegenden Brief an Caspar Neher widerspiegelt. Letztlich konnte Neher das Bühnenbild zur legendären Courage-Inszenierung 1949 nicht entwerfen, da er nicht rechtzeitig die entsprechenden Reisepapiere erhielt. „Wir warteten ja bis zuletzt auf dich und mußten dann einfach improvisieren“, schrieb Brecht an Neher zwei Wochen nach der Premiere am 25. Januar 1949, mit der die Geschichte des Berliner Ensembles ihren Anfang nahm. – Erwähnt wird ferner die Inszenierung der Dreigroschenoper mit Brechts Tochter Hanne Hiob und Hans Albers als Peachum. – Vgl. Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 29. Frankfurt 1998, S. 485; Stephen Parker, Bertolt Brecht. Eine Biographie. Frankfurt 2018, S. 794 ff.; Werner Hecht, Brecht Chronik 1898-1956. Frankfurt 1997, S. 834 ff. – Eigenhändige Briefe von Bertolt Brecht sind sehr selten.