Gentz, Friedrich von, Staatsmann und Schriftstellermat (1764-1832).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „Gentz“. Ohne Ort [Wien], 31. V. 1828, 4°. 3 Seiten. Doppelblatt. Velin.

Nicht vorrätig

Beschreibung

An den Verleger Johann Friedrich Cotta, der seit 22. Mai in Wien weilte: „Die Allgemeine Zeitung vom 27ten May hat einen argen Schnitzer begangen, indem sie aus dem Correspondenten von Nürnberg ein vorgebliches Bülletin von einer am 15ten d. M. am rechten Donau-Ufer vorgefallnen Schlacht zwischen den Russen und Türken, unüberlegter Weise nachgeschrieben hat. Bey dem geringsten Nachdenken hätte die Redaction sich überzeigen müßen, daß ein solches Bülletin unmöglich in 9 Tagen (denn es ward am 24ten in Nürnberg gedruckt) von Silistria über Bamberg nach Nürnberg gelangt seyn konnte. Die Bamberger Zeitung hat auch keine Sylbe davon; der Betrug ist in jeder Zeile faßbar, indem die als todt oder blessirt genannten Russischen Offiziere, theils gar nicht existiren, theils längst gestorben sind, und ihre Nahmen vermuthlich aus alten Bülletins voriger Kriege mit Ungeschicklichkeit zusammengetragen sind, vieler anderer Absurditäten nicht zu gedenken. Allem Vermuthen nach hat irgend ein mauvais plaisant [Witzbold] dem Redacteur des Nürnberger Correspondenten, und allenfalls dem Publikum mit diesem erdichteten Bülletin einen Streich spielen wollen. Nach zuverläßigen Nachrichten war bis zum 20ten kein Russe über die Donau gegangen. Es thut mir aufrichtig leid, daß Ew. Hochwohlgebohren gerade während Ihres Aufenthaltes in Wien ein so ärgerliches Factum, welches ohne Zweifel viel Gerede in ganz Europa veranlaßen wird, erfahren mußten. Unser letztes Gespräch hat mir über Ihre Wünsche und Absichten nicht den mindesten Zweifel gelassen; um so mehr aber muß Ihnen daran gelegen seyn, den Redacteurs der Allgemeinen Zeitung die strengste Aufmerksamkeit bey der Auswahl ihrer Materialien zu empfehlen, der gegenwärtige Fall geht uns nicht weiter an, als in so fern dabey die Bamberger Zeitung höchst unschuldig compromittirt wurde; was sich jedoch leicht berichtigen ließ. Bloß mit guter Meynung für Ihr Institut habe ich mir die vorstehenden Bemerkungen erlaubt, die ich Sie bitte, als einen Beweis meiner aufrichtigen Ergebenheit auslegen zu wollen […]“ – So absurd, wie Gentz behauptete, war die Nachricht nun aber auch wieder nicht, denn bereits im Juni 1828 überquerten die vom Zaren Nikolaus I. angeführten Hauptverbände der Russen die Donau und begannen den Russisch-Türkischen Krieg (1828-29), auch durch die Belagerung der bulgarischen Schlüsselfestung Silistria. – Von Cotta verlegte Presseerzeugnisse wie etwa das „Morgenblatt“ durften in Österreich aus Zensurgründen nicht vertrieben werden, auch seine „Allgemeine Zeitung“ stand unter ständiger argwöhnischer Beobachtung. Zu seiner Reise nach Wien 1828, um diese Hindernisse auszuräumen sowie sein gutes Verhältnis zu Gentz (den er am 26. und 28. Mai traf) vgl. die Darstellung bei Bernhard Fischer, J. F. Cotta, 2014, S. 751-53 sowie Anm. 204, S. 914. Siehe auch H. Mojem, Repertorium; Nrn. 3724 und 2726. Cottas Anstrengungen blieben übrigens erfolglos, wozu die von Gentz angemahnte Meldung vielleicht ihren Teil beitrug. – Auf gutem Papier, schön erhalten. Sehr schöner Brief.