Mann, Thomas, Schriftsteller und Nobelpreisträger (1875-1955).

Eigenh. Manuskript mit Namenszug im Titel. Ohne Ort (München), Januar 1923, 29 x 23 cm. 7 1/2 Seiten, in Bleistift paginiert „1“ bis „7“. Kariertes Papier. Mit Fälzchen zu Lagen gefasst, fadengeheftet und gebunden in braunes Halbmaroquin mit Lederecken und braunen „Elefantenhaut“-Papier-Deckelbezügen, Innendeckel mit Marmorpapierbezug, weiße Vorsatzblätter. Mit goldgeprägtem Wappensupralibros: Allianzwappen der Familie Hatzfeld mit Helmzier (gering bestoßen).

Nicht vorrätig

Beschreibung

Das schönste und umfangreichste vollständige Manuskript Thomas Manns, das in den letzten 25 Jahren den Handel erreicht hat. Bisher gänzlich unbekannt. Auch den Bearbeitern der „Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe“ ist dieses Manuskript unbekannt geblieben, eine wissenschaftliche Bearbeitung ist bisher nicht erfolgt; die GKFA (Bd. XV/2) kennt lediglich ein Typoskript im TMA Zürich, das als Satzvorlage für den Erstdruck vermutet wird. Von den zahlreichen Korrekturen und Streichungen in vorliegendem Manuskript, darunter mehrere längere Passagen und zwei Gedichtstrophen, haben Wissenschaft und Öffentlichkeit bis heute keine Kenntnis genommen. Das Manuskript weist zwei Bearbeitungsstufen auf, eine erste in Tinte, mit derselben Feder wie die Schrift (also wohl zeitnah nach der Niederschrift des Textes), sowie eine zweite in Bleistift, zusammen mit der Paginierung. – Der Essay erschien erstmals gedruckt in der „Frankfurter Zeitung“ vom 27. Januar 1923. Der als Folge eines Selbstmordversuchs erblindete Schriftsteller Adolf von Hatzfeld (1892-1957) war Thomas Mann 1911 durch den Freiburger Germanisten Philipp Witkop empfohlen worden. In einem Brief an diesen vom 13. September 1918 zeigte er sich beeindruckt von Hatzfelds expressionistischem Bekenntnisroman „Franziskus“ (1918). Er kannte den Dichter auch persönlich und lud ihn gelegentlich zum Tee (Tagebuch vom 23. XI. 1918 u. ö.): „Unter einigen guten Dingen, die ich kürzlich las, gedenke ich der Bücher Adolfs von Hatzfeld besonders dankbar.“ Noch 1953 rezensierte er einen Band mit Erzählungen (Potempa G 1140). Thomas Mann schätzte seinen Essay „Adolf von Hatzfeld“ und nahm ihn in die Sammelbände „Bemühungen“ (1925) und „Altes und Neues“ (1953) auf. Der erste Absatz enthält einige Korrekturen und Streichungen, die weitgehend in die Druckfassung Eingang gefunden haben und endet mit den Worten „sittliche Lebensteilnahme [Druck: Lebensanteilnahme] eines Dichters, der seit dem tragischen Abschluß schwerer Jugendwirren in ewigen Dunkel lebt.“ In Absatz zwei über Hatzfelds Roman „Die Lemminge“ ist gegenüber der Druckfassung eine Passage von 14 Zeilen gestrichen und durch 5 Zeilen auf Blatt 1 verso ersetzt worden. Die im Manuskript gestrichene und von uns erstmals erfasste Passage lautet: „‚Hoch in den Bergen brechen sie zu Tausenden auf und über Stock und Stein geht es mit unheimlicher Schnelligkeit zur Ebene herab, jedem Hindernis trotzend. In unbezähmbaren Drang, unbeirrbar in ihrem Beschluß, laufen sie zur Küste, stürzen sich kopfüber ins Meer und finden so in den Wellen den Tod. Niemand vermag es, sie auf ihrem Weg aufzuhalten. Eine unheimliche Kraft scheint sie ohne erkennbaren Grund in den Tod zu treiben …. Tod ist ihre Losung. Das Leben geht sie nichts mehr an. Ich bin einem solchen Wanderzug entgegengetreten, ihm den Weg zu versperren. Trotz ihrer Liliputgröße griffen sie mich mit einem fanatischen Gesichtsausdruck todeskühn an und fügten mir schmerzliche Bißwunden zu. Weiter ging es die Berge hinunter, tausend und aber tausend, sicheren Untergang vor Augen.‘ Soweit Iwan Wagner, der Held des Romans, über ferne Nager. Er fügt hinzu:“ Vgl. dazu die Druckfassung „Aus den Höhen der Berge […] und er fügt hinzu:“ Im dritten Absatz ist zwischen „Lermontow“ und „lyrisch geheimnisvoll“ streicht Thomas Mann im Manuskript folgende Passage, die dann auch nicht im Druck erschienen ist: „aber objektiviert durch eine Technik, die zwischen ihn und uns einen ironisch umständlich sich […] ernst und sachlich, wenn auch nicht ohne […] Geschichtenerzähler schiebt, – und lyrisch geheimnisvoll eine Hamsuns Nagel und Glahn“. Derselbe Absatz enthält auch die das eigene schriftstellerische Tun reflektierende Passage: „Darum ist Erzählen etwas vollständig [korrigiert aus: völlig] anderes als Schreiben“. Auf Manuskriptseite 5 finden sich zahlreiche weitere Streichungen, vor allem Zitate aus dem Roman Hatzfelds wurden gekürzt. Am Ende des Essays zitiert Thomas Mann aus einem Gedicht Hatzfelds: auch hier hat er dem vorliegende Manuskript folgend für den Druck zwei vierzeilige Strophen wieder gestrichen. Im ersten Korrekturschritt schienen Thomas Mann die zitierten Passagen wohl etwas zu lang, wofür er sich entschuldigt: „Man verzeihe die Anführungen, die Beispiele, aber ich lasse das Buch so gern erklingen […]“ Das vorliegende Manuskript bietet einen und grundlegenden Baustein für die weitere editionsphilologische Erforschung der Schriften Thomas Manns und ermöglicht zugleich einen detaillierten, persönlichen Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess Thomas Manns. Die ultimative Krönung für die qualitätvolle Thomas-Mann-Sammlung.