Meyrink, Gustav, Schriftsteller (1868-1932).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „Gustav M.“. Starnberg, 3. X. 1919, 4°. 2 Seiten.

Nicht vorrätig

Beschreibung

An seinen Freund Theodor Kuh: „[…] Ich habe mich riesig über Dein Lebenszeichen gefreut. Gleichzeitig geht ein Pack Fotos an Dich ab. Darunter solche unserer Villa. Uns geht es allen glänzend. Ich schreibe mit allen vieren unaufführbare Filme, was sehr einträglich ist und nicht minder komisch, und dichte heimlich, bis das Papier, das der Teufel extra meinethalber abschaffen möchte, wieder billiger wird. Der Ochs merkt nämlich immer noch nicht, daß ich gescheiter bin als er. Auch das Entwerten des Goldes wird ihm nicht viel helfen, denn dann kann ich längst Gold machen. Ich rate Dir folgendes: such Dir mit feinem Instinkt selbst eine Wortübung aus den Psalmen aus – diese haben große verwandelnde Kraft; oder vielleicht einen Satz aus dem ‚Vater unser‘. Zu erwägen wäre, ob man den Psalm nicht hebräisch üben sollte. Die Wortübung höchstens 1 x im Tag und nicht zu lange (10-30 Minuten) doch desto conzentrierter, aber ja nicht krampfhaft. Die einzelnen Worte quasi aussaugen wie die Biene die Blüte. […] brauchts nicht; sie dienen hauptsächlich, um das erforderliche richtige frische Wachsein beim Wortüben aufrecht zu erhalten. Ferner: Kauf Dir: Bo-Yin-Ra: ‚Das Buch vom lebendigen Gott‘ […] Ferner: zu genauestem Studium: Mary Baker Eddy’s Wissenschaft und Gesundheit (Christian Science) zu beziehen durch David Salomon, Berlin Halensees […] Ich weiss, warum ich gerade Dir die Christian Science als quasi nochmaliges Fundament empfehle. Ich rate Dir, setze Dich mit meinem alten Freund Posch, Fremdenführer beim Portier im Blauen Stern in Verbindung und lass Dir, als ob Du gänzlicher Laie wärst, von ihm über Christian Science erzählen etc. Stör Dich nicht an seinem eselhaften Getue; er hat trotzdem die Sache simpel und gradlinig genau erfasst. Lernen: wenn Du Dich vor physischen Misslichkeiten bewahren willst, so halte Dich von Sexuellem möglichst fern, auch in Gedanken. Auf dieses höchst einfache Geheimnis kommt man leider immer recht spät. Und doch stehts im Paulus klar darin. Ich wittere, es kommen höchst bedeutsame Zeiten. Manchmal scheint mir, wir kämen nach Osten (Sibirien) um ein ganz neues Zukunftsleben einzufädeln. Ich glaube weiter fest: die Stunde kommt mit Riesenschritten, wo die Prager sagen werden über mich: schade, den hätten wir doch fast gekreuzigt. Ich habe aber zum Glück kein Talent zum Märtyrer. Hier geht es passabel aufwärts. Deutschland scheint sich von der überstandenen Nibelungentreue allmälig zu erholen. Aber, ich glaube, der alten Zopf wird nirgends mehr geflochten werden […]“ – Briefe Meyrinks mit okkultem Inhalt sind sehr selten.