Rilke, Rainer Maria, Schriftsteller (1875-1926).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „Rainer Maria Rilke“. Furuborg, Jonsered in Schweden, 4. XI. 1904, Gr.-4°. 2 Seiten. Handgeschöpftes Büttenpapier.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Sehr poetischer Brief an den Schriftsteller Ernst Hardt (1876-1947 ) in Berlin über einen Gedichtband von ihm: „[…] vor etwa zehn Tagen erst kam Ihr Buch ‚Aus den Tagen des Knaben‘ auf langen Wegen von Italien zu mir. Nun habe ich oft, abendelang, darin gelesen, hier in der stillen Stube, die ich im Hause lieber Freunde bewohne, und draußen im fallenden Walde am einsamen, jetzt weithin durch alle Bäume sichtbaren See. Ich kann Ihnen heute nur kurz schreiben, – es ist der siebente Brief eines beschäftigten Tages -, aber ich will den Dank für dieses liebe, leise schluchzende Buch nicht länger hinausschieben, zumal ich Ihnen lange, lange nicht geschrieben habe. Die Lieder ‚aus den Tagen des Knaben‘ sind mir lieb. Wenn es auch vor allem die Gedichte ‚Aus der Erfüllung‘ sind, die mir nahestehn, so finde ich doch, immer mehr zu den früheren Versen hin; zu einzelnen Zeilen und zu Strophen, die wie Regen fallen und wie Duft vorübergehn. Und, jemehr mein Auge sich gewöhnt, desto besser erkenne ich die Traurigkeit und Härte und Einsamkeit des Knaben in Verszeilen, die mir zuerst fremd erschienen und nicht tönend genug. Es ist soviel Sehnsucht darin, die nicht reden konnte, soviel unzulängliche Gebärde, so viel Strecken und Dehnen und alle die Schmerzen und Müdigkeiten des Wachsens. Und dann diese breiten, breiten Verse, für die der Athem kaum ausreicht, die wie ein Weiten der Brust sind, oder wie eine große, große Rüstung, in der ein schlanker Jünglicng, langsam, tragend, schreitet […] Sie werden fühlen, daß ich liebevoll und lauschend gelesen habe. Ich kann heute nicht mehr schreiben; ich habe sehr beschäftigte Tage und nicht allzuviel Kraft […] Seit ich von Rom fort bin, seit Ende July etwa, bin ich fast immer in Schweden gewesen; eine Zeitlang in Kopenhagen, wohin ich auch noch wieder zurückkehre. Was später kommen soll, ist noch nicht entschieden […]“ – In Furuborg, wo Rilke zwischen dem 8. Oktober und dem 2. Dezember 1904 Gast von James und Lizzie Gibson (Freunden von Ellen Key), war, entstand die Reinschrift des später verworfenen zweiten Anfangs der „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“.