Scheffel, Joseph Viktor von, Schriftsteller (1826-1886).

Eigenhändiger Brief mit aquarellierter Federzeichnung und Unterschrift „Josef“. Hohentwiel, Gasthof von Joseph Pfizer, 24. IV. 1854, Fol. 4 Seiten. Doppelblatt.

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Beschreibung

„Ich fuhr in schaukelndem Kahn über den Bodensee und nistete mich bei der alten Linde am Abhang des Hohentwiel ein, wo jetzt ein trefflicher schwäbischer Schultheiß die Trümmer der alten Feste behütet“ (Scheffel, Ekkehard, Vorwort) Bedeutender Brief Scheffels an seine Mutter. Aus der Entstehungszeit des Romans „Ekkehard“ (1855), verfasst, als 9 Kapitel bereits geschrieben waren und mit einer wunderbaren Aquarellansicht vom Hohentwiel: „Ich danke Dir für Deinen Brief u. die Inlagen, die mich ebenfalls sehr erfreut haben; eine war ein Schreiben des Schriftstellers Otto Müller, Verfasser der Charlotte Ackermann, voll freundschaftlicher Anerkennung, verbunden mit einem buchhändlerischen Anerbieten, das mir vielleicht später von Nutzen ist. Es sind jetzt bald 14 Tage, daß ich auf Hohentwiel festsitze – die Situation ist eigenthümlich, ich hab schon manchmal eine Art Vergleich mit Capri angestellt, aber’s paßt nicht ganz. Die Natur ist ganz so wie ich sie gern habe – weite Aussicht zu meinen Füssen, der Untersee mit Reichenau, langgestreckte Tannenwälder, links der steile Fels von Hohenkrähen aus der Ebene aufsteigend und rechts vor mir die stolze Kuppe des Hohentwiel mit ihren Festungstrümmern. Das ist denn auch mein täglicher Gang, ich hab ein einsames Plätzlein in den Ruinen, das schaut sehr weit in die Welt hinaus, und wenn die Sonne sich zum Untergehen neigt, so kommen oftmals in leisem Duft die Häupter der Alpen gegenüber zum Vorschein – eine weite unermessliche Kette, u. doch zart, wie gehaucht – der Blick gleicht wieder manche Zweifel aus. Meine Wirthe sind brave Leute – ich lebe gut, nicht gasthofmäßig,- oft, z. B. an den Sonntagen gehts etwas bäuerlich zu, dann zieh ich in die Berge, – es ist ein patriarchalisch Leben, im Hofgut, mit großer Landwirtschaft, viel Knecht und Mägden- ein klein protestantisch Kirchlein dabei, bei der Einfachheit bin ich auch schon wohlgemuth hineingegangen u. hab gestern auf der vordersten Bank der Confirmation der Kinder angewohnt. | Meine Arbeit geht langsam voran – 9 Capitel sind fertig, es müssen aber ungefähr 20 werden, ich hab allerlei Schwierigkeit, die Geschichte darf nicht ausser Aug gelassen werden, und weils fast 1000 Jahr zurückliegt, gebrichts fast hie u. da an dem gekanten Detail, dann soll eine hohe Einfachheit, ein strenger Ton, der alles Überflüssige wegläßt, drüber gelegt sein – und wenig sagen ist schwieriger als Viel. Ich hoffe aber allmälig zu fröhlicher Unbefangenheit des Schaffens zu gelangen – freilich langsam, denn ich fange an zu merken, daß mir das Jahr seit meiner Heimkehr aus Italien manche Wunde geschlagen hat – ich hab eigentlich gar nicht viel äusserlich erlebt und doch so unendlich viel durchgemacht, woher kommt das? Vom Leiden oder vom unfreiwilligen Müßiggang – oder von fremdartigen Verhältnissen?– Für deine Bemühungen um meine Zukunft danke ich dir ebenfalls, ich will Nichts einwenden, wahrscheinlich kommts auch hier anders als erwartet- oder gar nicht, denn durch mein Leben scheint sich eine seltsame Art Resignation zu ziehen, die mich am Glück vorbeigehn heißt, wenns vor mir steht. Erwina wird übrigens fast zu fromm und gut und wohlerzogen für mich ausfallen, mir sollte mehr was Wildes, Kühnes, zu That und Kampf mit der Welt Anspornendes zur Seite stehenv- ich wüßte vielleicht auch auch wer, aber ‚Sie konnten zusammen nicht kommen | Das Wasser war gar zu tief.‘ | Hier am Bodensee und in der Umgegend sitzt eine rührende crême von Gesellschaft beisammen, davon erzähl ich vielleicht bei der Rückkehr, es soll kein Papier damit verschrieben werden. Vor der Hand sitze ich noch unbeweglich hier, ich möchte nicht, ohne im ersten Entwurf fertig zu sein, heimkommen. Dann ein wenig ausgeruht, und nach vorheriger Prüfung, bei der Du vielleicht auch beigezogen wirst, fertig gemacht; wenn man mich duldet, gern im heimatlichen Gartenhaus, aber – in Frieden, ich kann nimmer viel aushalten. Das Honorar gedenke ich nächsten Winter in Paris oder London zu verklopfen; wenn mich ein mitleidiges Caminfeuer nicht von allen Buchhändler Contracten befreit, denn ich bin streng gegen mich geworden. Ich schreibe bald wieder,- vielleicht auch um einigen Zuschuß – mit den Notizen für Oberndorf und Rottweil hats daher Zeit, ich werds aber hoffentlich gut an Ort und Stelle besorgen. Was von Briefen an mich kommt, schick mir doch ja bald hieher, ich freue mich in meiner Einsamkeit doppelt an jedem Zeichen der Erinnerung. Ist vielleicht von Reichenbach Etwas für mich gekommen? In den letzten Tagen wars wunderschön, Frühling im Land, die Linde vor dem Haus ist in wenigen Tagen ganz grün geworden, aber gestern hats umgeschlagen, es stürmt u. regenschauert […] als wolle der April noch mit Schnee enden. Dieses graue Wetter hat mich auch heut von meiner Arbeit abgehalten und mich zum Briefschreiben gewendet – also auch zu Etwas gut. Ich grüsse Euch alle, Vater und Marie und Carl, für Marie wären hier Studien zu machen und die Farben sind in der Natur etwas harmonischer und feiner gemischt als in dieser Probe auf Postpapier – namentlich die Ferne oft sehr zart u. lieblich. Überhaupt kann hier leicht das Gefühl über Einen kommen, aller Tinte Adio zu sagen und wieder zu Bleistift und Pinsel zu greifen. Unterdessen zieht wieder ein Regenguß vor meinem Fenster vorüber – und vergällt mir jegliche Aussicht – der Wind pfeift, das Büblein geht nach Singen auf die Post – ich schließe. Addio! […]“ – Scheffel erhielt seine künstlerische Ausbildung bereits seit frühester Kindheit. Sie setzte sich während des Studiums und in Italien im Kreis der Deutschrömer bei wichtigen Malern seiner Zeit fort. Alle seine literarischen Werke entstanden in enger Verflechtung von Text und Bild. – Gering fleckig.