Wagner, Cosima, geb. Liszt, zweite Frau Richard Wagners (1837-1930).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „C. Wagner „. Bayreuth, 30. I. 1876, Gr.-8°. 6 Seiten auf 3 Blättern (1 Doppelblatt).

Nicht vorrätig

Beschreibung

Vertraulicher und inhaltsreicher Brief, geschrieben im Vorfeld der ersten Bayreuther Festspiele und der Premiere des gesamten „Rings des Nibelungen“ im August 1876, an den kaiserlichen Obersthofmeister Rudolph von Liechtenstein (1838-1908) auf Schloss Neulengbach bei Wien, der seit Wagners Wiener Zeit (1861-1863) ein Bewunderer und Förderer des Komponisten war: „[…] Bei uns ist es in dieser Zeit nicht gerade freundlich hergegangen; der Christbaum war zwar hell und heiter, wie wohl immer da, wo weder Dattel- noch Seitelbaum blühen, ihm also weder Mahomed noch Jehovah im Wege stehen, allein er hat nicht abwehren können, und ich glaube nicht dass es eine Erfahrung zu machen gab, die uns erspart blieb. Wenn man sich nur entschliessen könnte, den ‚bequemen Weg der Verzweifelung‘ wie Richard II. sagt, zu wandeln, man will es aber nicht, und bleibt in dem ungleichen Kampf. So war es nicht leicht die Stimmung aufrecht zu erhalten, denn das consequente Beschweigen des Unangenehmen bewältigt die innere Preoccupation nicht, und keine Lektüre will wirken; da kam ich auf den Gedanken, den geliebten Meister zu bitten die Biographie wieder aufzunehmen; so arbeiten wir denn des Morgen’s zusammen, und viel ist dabei gewonnen, ich möchte sagen Alles! Das Diktat begann mit dem gemeinschaftlichen Besuche mit Ihnen bei N’s, und ich sah das Ganze lebhaft vor mir. Wie oft habe ich in seinem Betreff das Gefühl der Freude, bis zur Tragik, empfunden! Die unüberbrückbare Kluft welche das Genie von der Welt – selbst der besten – scheidet hat, für mich, mein Vater wundervoll im Tasso ausgedrückt; wo die klagende Volksweise inmitten der Lustbarkeit in Ferrara, gespenstisch traurig, ertönt. Beinahe stets wenn ich unseren Meister unter Menschen sehe, fällt mir diess ein! […] und die seltsame Erscheinung dass man (wenigstens ich) gar kein Interesse für die Frauen empfindet für welche all das geschieht, brachte mich mit erneuter Bewunderung auf den Tannhäuser zurück, und wie unser Wagner darin den Sinn dieses Unsinnes zeigt, dass ein gebrochenes Herz, entsagungsvoll, unsere ganze Andacht erweckt. […] Die neun ‚Gesammelten‘ ruhen gewiss wie die Gerechten alle, und Sie denken selbst nicht bei ihrem Anblick an das Versprechen welches sie uns gegeben! Ich empfehle Ihnen aber im 8ten Band ‚Über Staat und Religion‘ und hoffe dass Sie es nicht unverständlich, wie Nietzsche, finden werden. […] Wir sollen Tristan und Isolde den verschiedenen Reichsbehörden zum besten geben; dieselben sorgen zwar für alles, selbst für Gesundheit und Orthographie, allein ich schenkte ihnen lieber Tristan als dass ich ihn ihnen gäbe! Ich bin immer tiefer durchdrungen von dem Gedanken dass der Meister von den Göttern also auch vom Schicksal geliebt, von den Menschen und dem Zufall aber gehasst wird […]“. – Cosima Wagner schildert sehr persönlich und auf Augenhöhe mit dem Adressaten die Atmosphäre im Hause Wagner in den aufreibenden Monaten vor der Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele, in denen der „Meister“ Wagner an der Fertigstellung des „Rings“ und an seiner Autobiographie „Mein Leben“ arbeitete. Darüber hinaus sinniert sie über philosophische und religiöse Fragen, berichtet über das Alltags- und Gesellschaftsleben in der Villa Wahnfried sowie über ihre vielseitige Lektüre, u.a. der Werke Goethes, „von welchem Nietzsche mir erzählte“, und über Ulrich von Liechtenstein, einen Vorfahren des Adressaten. – Großer Brief, der das geistige Klima im Hause Richard Wagners unmittelbar vor der Erreichung seines Lebenszieles, der Festspiele, beleuchtet. In ihren Tagebüchern vermerkt Cosima Wagner unter diesem Datum: „Brieftag, die Kinder sind frei! An R. L. geschrieben.“