Mann, Thomas, Schriftsteller und Nobelpreisträger (1875-1955).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift München, 11. III. 1920, 4°. 2 Seiten. Kariertes Papier mit Perforationsrand oben. Gelocht..

Nicht vorrätig

Beschreibung

Hochbedeutender politischer Brief – bisher ungedruckt und unbekannt – an den Journalisten Hermann Stegemann (1870-1945). Der einzige Nachweis dieses Briefes findet sich im Tagebucheintrag Thomas Manns vom 11. März 1920: „an Dr. Stegemann von der Kultur-Korrespondenz, dem ich schrieb, ich fühlte mich nicht verpflichtet, die Betr[achtungen eines Unpolitischen] in journalistische kleine Münze umzusetzen.“ Mann dankt für den Brief Stegemanns vom 2. Februar 1920: „[…] Sie erweisen mir darin viel Ehre und Vertrauen; ich danke Ihnen herzlich. Auch bin ich weit entfernt, mich gegen ihren Wunsch, in der ‚Kultur-Korrespondenz‘ einmal einen Beitrag von mir zu bringen grundsätzlich ablehnend zu verhalten. Im Gegenteil, ich würde mich besonders freuen, einmal bei Ihnen zu Gast zu sein, wenn die Gelegenheit sich bietet. Gegen die Erwartungen und Forderungen aber, die ihr ausgezeichneter Brief darüber hinaus und im Allgemeinen in mich setzt und an mich stellt, muß ich mich, so schmeichelhaft sie mir sein mögen, zur Wehr setzen. Solche Erwartungen und Forderungen sind in letzter Zeit wieder und wieder an mich herangetreten: man wollte Vorträge von mir, wollte Artikel, kurz wollte, daß ich mich als politischer Führer und Wegeweiser betätigte, im Sinne meiner ‚Betrachtungen‘ natürlich. Aber ich bin kein Führer und Lehrer, nichts weniger, als das. Die Niederschrift der ‚Betrachtungen eines Unpolitischen‘, die mich viel, viel Lebenszeit gekostet hat, während welcher meine jetzt wieder aufgenommenen künstlerischen Pläne zurückstehen mußten, war eine persönliche Gewissensangelegenheit. Wenn das Buch Elemente enthält, die die Nation sich nutzbar machen kann, so wird sie sie sich nutzbar machen; das Buch ist da und mag wirken. Seinen Inhalt fortan zu propagieren, indem ich ihn in kleine Münze umsetze, halte ich mich nicht für verpflichtet. Meine Abneigung dagegen ist umso größer und begreiflicher, als das Schriftstellern im engeren Sinne – im Gegensatz zum Erzählen – mir nur unter den schwersten Hemmungen vonstatten geht und so ein Artikel, den man im Sinn einer raschen Improvisation von mir verlangt, mich ganz unverhältnismäßig viel Zeit kostet. Ich bin nächstens 45 Jahre alt und durch die Erschütterungen der Zeit furchtbar aufgehalten worden. Zwei vor dem Kriege begonnene umfangreiche künstlerische Kompositionen sind zu beenden. Meine Arbeitskraft ist nicht üppig bemessen. Wenn ich mein Lebenswerk – es mag wenig daran gelegen sein, aber es ist das meine – beenden will, mich fertig vorstellen will, so habe ich allen Grund, mich zusammenzuhalten, mich nicht zu verzetteln. Ich antwortete schon mit demselben Ernst und derselben Ausführlichkeit, womit Sie sich, sehr eindrucksvoll, an mich wandten […]“ – Thomas Mann hatte die ersten Tage des Februars 1920 in Feldafing in seinem Ferienhaus „Villino“ („mein hiesiges Mauseloch“) verbracht, um am Roman „Der Zauberberg“ zu arbeiten.