Améry, Jean, Schriftsteller (1912-1978).

65 Autographen: 36 eigenhändige Briefe mit Unterschrift, 21 masch. Briefe mit eigenhändiger Unterschrift, 5 eigenh. Ansichtskarten mit Unterschrift und 3 eigenh. Billetts mit Unterschrift Meist Brüssel, 10. I. 1971 bis 13. VII. 1978, Verschiedene Formate zwischen Folio und Quer-Klein-8°. Ca. 90 Seiten. Meist mit gedrucktem Briefkopf. Mit mehreren Umschlägen. – Dazu: 10 Typoskripte in Folio mit zus. ca. 75 Seiten..

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Beschreibung

Vielfach inhaltsreiche Briefe an Wolfram Schütte, Feuilletonredakteur der “Frankfurter Rundschau“, bei Übersendung von Beiträgen sowie über seine in diesen Jahren entstehenden Bücher “Lefeu oder der Abbruch“ (“das bedauernswerte Waisenkind“), “Charles Bovary, Landarzt“ und “Hand an sich legen“, sein “Todesbuch“. In eingehenden Stellungnahmen zu den politischen Auseinandersetzungen der Zeit bekennt Améry seinen Zwiespalt als “Jude“ und als “Linker“, aus dem nur der Versuch, “die linke Position neu zu definieren“ heraushelfen könne. 28. XI. 1974. “[…] zu Ihrer Anfrage. Céline? Hm. nochmals hm – und: lieber nein. Kein Zweifel, dass Céline ein grosser Prosaschreiber war und eine interessante Figur. Ich aber erlebte ihn während des Krieges und sah seine schreckliche Wirkung. Sie haben ganz recht: persönlich halte ich es da wirklich mit Heine […]“ 26. II. 1976. “[…] Ob mein Anti-Rehabilitierungs-Essay nun in der FR erscheint oder nicht, die Menschen W. S. und J. A. wird dies nicht betreffen […] Abgesehen von der subjektiv bedingten Tatsache, dass ich selber kaum imstande bin, über diese Dinge anders als emotionell zu schreiben, glaube ich ganz ernsthaft, dass unter bestimmten Umständen die Emotionalität der Sache angemessener sein kann, sein muss als erzwungene Kühle; dass also das Subjektive zum Objektiven wird: auch ein ganz gutes Exempel für Dialektik […]“ 11. IV. 1976. Über seinen “Eingriff“ in die Kontroverse um Fassbinders Stück “Der Müll, die Stadt und der Tod“. “[…] Es ist wirklich ein – nicht nur für mich und meine Schicksalsgefährten! – unerträgliches Stück. Der arme Zwerenz, den ich zu schonen versuchte, wird mir möglicherweise die Sache übelnehmen. Aber ich konnte, aufgefordert, mich zu Fassbinder zu äussern, nicht anders handeln […] Inzwischen war ich im Lande der Vatersväter […] Ein Erlebnis, mit dem ich noch lange nicht fertig bin. Bewundernswertes neben äusserst Stupidem. Sparta, Theokratie, Kaffeehaus, Blut-und-Boden – und Debattierklub. Am rührendsten die zumeist sehr armen ’schwarzen Juden‘ – oh Gott, wie ist angesichts solcher Realität ‚Der reiche Jude‘ doch ein dürftiger (aber gefährlicher) Mythos. Was soll diese bewaffneten Farmer, diese kontestierenden Intellektuellen, die armen Teufel, die nichts als leben wollen, ein Schuft aus Frankfurt angehen […]“ 16. IV. 1976. “[…] In Tel-Aviv verbrachte ich einen Abend mit Ihrem Mitarbeiter [Walter] Grab, einem gastfreundlichen, humorvollen Manne, von dem ich nur nicht verstehen kann, warum er in dem von ihm verabscheuten Land bleibt, statt sich in Wien ein Ordinariat zu suchen […] Ach, es ist ein Kreuz, so wenig wie Ihr in der BRD Euren Hitler los werdet, so wenig, nein: noch viel weniger kann unsereins ihn abschütteln wie ein Pudel das kalte Wasser. Am besten wär’s man nie gewesen, ich meine: nicht Jude, nicht Deutscher […]“ 15. VI. 1976. Nach seiner Teilnahme an den Frankfurter “Römerberggesprächen“. “[…] Auf dem Römerberg wurde ich von einer in die Jahre gekommenen Neuen Linken kräftig ausgepfiffen. Mein Gemüt blieb darob im Gleichen. Immerhin kam mir der Gedanke, es habe das CIA Agenten infiltriert mit der Aufgabe, Männer der Linken wie mich ins gegnerische Lager abzudrängen. – Dies würde in meinem Falle vergebliche Liebesmüh‘ gewesen sein […]“ 13. VII. 1978. Über den “Antizionismus unserer Freunde von der Linken“, anlässlich der Befreiung israelischer Geiseln in Uganda. “[…] Hier gäbe es eine Aufgabe für die Linke: beide, Araber und Juden zur gegenseitigen Achtung zu erziehen. Den Juden wären ihre wirren gross-israelischen Träume auszutreiben, den Arabern die wahnhafte Idee, dass der ‚zionistische‘ Staat zerstört werden müsse. Was hingegen tut eine Linke, die sich selber preisgibt? Sie schiesst. Und was wird sie damit in Deutschland erreichen? Die Heraufkunft eines bösartigen reaktionären Regimes […] – Hier spricht […] ein in jeder erdenklichen Hinsicht gebranntes Kind: ein Jude und ein dezidierter humanistischer Linker, der beide Seins- und Denkweisen in eins zu bringen bemüht ist […]“ – Ein Vierteljahr vor seinem Freitod am 17. X. 1978 geschrieben. Erwähnt ferner u. a. Günther Anders, Alfred Andersch (u. a. über “’Winterspelt‘ […] vergleichbar wohl nur mit dem ‚Grischa‘ von Arnold Zweig“), Heinz Brandt (“für mich ein Résistance- und KZ-Kamerad“), Friedrich Dürrenmatt, Erich Fried, Helmut Gollwitzer, Günter Grass, Ernst Jünger, Erich Kästner, Reiner Kunze, Herbert Marcuse und Marcel Reich-Ranicki (“Erzfeind“). – Teilweise mit kleineren Randeinrissen und Knickspuren; vereinzelt gelocht. Die 10 Typoskripte mit eigenh. Korrekturen: „In Deutschland gewachsen. Zum 75. Geburtstag Erich Kästners“, „Für eine Volksfront dieser Zeit. Prinzipien einer aktuellen Linken“, „Wenn die den Krieg gewonnen hätten“, „Paul Nizan, homme revolté“, „Das Leben ein Traum“ (über Ernst Fischer), „Die Leute von Winterspelt“, „Die Zeit der Rehabilitierung“, „Flaubert: Bürgerliche Neurose und Meisterschaft“, „Sartre: Grösse und Scheitern“, „Träumereien an Deutsch-amerikanischen Kaminen“ (über Herbert Marcuse). Ferner in Fotokopie: „Wiederlesen“ (über Hamsun, Galsworthy und D. H. Lawrence). – Beiliegend 3 Photographien und einige die Améry-Ausstellung in Marbach betreffende Briefe.